Vor Jahren sagte mir eine Konfirmandenmutter nach dem Pfingstgottesdienst: „Das war ja eine schöne Konfirmation. Aber warum nur mussten wir dieses langweilige Lied singen?“ Ich musste nachfragen, was sie meinte: „Nun bitten wir den heiligen Geist“.
Für mich gehört dieses Lied ganz fest zu Pfingsten dazu; für sie war es eine lahme Melodie mit einem unverständlichen Text. Wenn man dagegen die Lieder singen lässt, die der Jugend Spaß machen, dann haben diese Rhythmus! Wer sie nicht kennt, kann da schwer mitsingen. Viele Lieder sind heute englisch. Das haben die Älteren nicht in der Schule gelernt, können deshalb nicht mitsingen und fühlen sich ausgeschlossen.
Dass der Gemeindegesang im evangelischen Gottesdienst etwas Wichtiges ist, merkt man am Streit, der sich immer wieder an der Liedauswahl entzündet. Das passiert bei einzelnen Gottesdiensten, aber auch wenn ein neues Gesangbuch zusammengestellt wird. Aktuell erarbeitet die Evangelische Kirche in Deutschland ein neues Gesangbuch. Es soll das Evangelische Gesangbuch von 1993 ersetzen. Auf die Auswahl dürfen wir gespannt sein.
So war das auch im Jahr 1735, als Friedrich Christian Lesser Pfarrer an der Frauenbergkirche war. Er bekam vom Bürgermeister der Stadt, Riemann, den Auftrag ein neues Gesangbuch zusammenzustellen. Es war die Zeit der beginnenden Aufklärung. Der Hallesche Pietismus beeinflusste viele Gemeinden auch durch seine Liedern. Und natürlich waren da die alten Lieder von Martin Luther, Paul Gerhardt und all den anderen. Lesser veröffentlichte mit zwei Kollegen das „Neue Nordhäusische Gesangbuch“. Der Rat
der Stadt beschloss, dass dieses neue Gesangbuch in Nordhausen zu verwenden sei. Und dann – natürlich – regte sich der Widerstand. Ein anonymer Autor ließ ein kleines Büchlein drucken: Mehr als 350 Lieder waren „ausgemustert“ worden, darunter auch Lieder von Martin Luther, die durch neue, aktuelle Lieder ersetzt worden waren.
Der Nordhäuser Gesangbuchstreit war eröffnet. Die Pfarrer der Stadt verfassten Schriften und bezogen Position. Ein Diakon beteiligte sich, ein Theologiestudent und ein Heringer Pfarrer. Schließlich schaltete sich ein Mühlhäuser Konsistorialrat ein und sogar der Hauptpfarrer der Hamburger Jacobikirche. Gutachten der Universitäten Leipzig und Rostock wurden eingeholt. Viele hundert Seiten wurden innerhalb von zwei Jahren verfasst.
Als Beitrag zum Jubiläum 500 Jahre evangelisches Gesangbuch laden wir herzlich ein zum Vortrag:
Streit um’s Gesangbuch.
Friedrich Christian Lesser, die „Nordhäusischen Tadeler und Räuber der bewährtesten Lieder“ und der Nordhäuser Gesangbuchstreit 1735-37.
Den Vortrag am Mo, 21.10., 18:00 Uhr, in der Frauenbergkirche hält Prof. Dr. Johannes Schilling aus Kiel, ein Experte für Gesangbuchfragen in der Kirchengeschichte. Der Kirchenchor der Frauenbergkirche wird unter Leitung von Viola Kremzow Lieder vortragen, um die gestritten wurde. Gemeindegesang gibt es natürlich auch. Im Anschluss sind Sie zu Getränken und einem kleinen Imbiss eingeladen.
Der Eintritt ist frei. Wir danken der Lesser-Stiftung für die finanzielle Unterstützung.
Hauke Meinhold