Im Sommer 1990 stand bei mir das Abitur an. Etwa im Mai habe ich im Wehrkreiskommando vorgesprochen und gefragt, was ich tun muss, um nicht zur Armee einberufen zu werden. Es gab ganz neu Zivildienst, den wollte ich machen. „Machen Sie das einfach schriftlich“, wurde mir gesagt. Ich bekam einen karierten Block gereicht und habe an Ort und Stelle in wenigen Zeilen darum gebeten, aus Glaubensgründen vom Wehrdienst befreit zu werden. Tatsächlich reichte das aus: Am 1.9.1990 konnte ich meinen Zivildienst antreten.
Dann kam am 3.10.1990 die deutsche Einheit. Ein paar Wochen später hörte ich: In der BRD können sich Leute, die Pfarrer werden wollen, vom Wehr- oder Zivildienst befreien lassen. Im Westen war das schon immer so und galt seit dem 3.10. auch im Osten. Nur hatte das niemand gewusst. Im Januar beantragte ich ein vorzeitiges Ende des Zivildienstes und begann im Winter mit dem Theologiestudium.
Was war ich froh, dass das alles so einfach ging! Ohne Angst vor Nachteilen konnte ich meinem Gewissen folgen – was für ein Kontrast zur SED-Zeit! So viele Menschen in der Welt haben auch heute Nachteile, wenn sie anders entscheiden, als der Staat vorgibt.
Wir leben 30 Jahren in einem Staat, vor dem man sich nicht fürchten muss. Alle Entscheidungen können überprüft werden. Diese große Veränderung haben die Friedensgebete mit den Kerzen angestoßen. Vieles hat sich zum Guten gewendet. Dafür bin ich dankbar.
Wieder einmal fallen der 3.10. und Erntedank auf ein Wochenende. Wir haben viel zu danken: für Obst, Gemüse und Brot, und genauso für Frieden, Sicherheit und Verlässlichkeit. Diese Geschenke sind immer auch Verpflichtung, selbst Verantwortung zu übernehmen und mit unseren Möglichkeiten anderen zu helfen. Diese Geschenke dankbar anzunehmen, das heißt auch, sich dafür einzusetzen, dass es bei uns so bleiben kann.